Hallo ihr Lieben,
unsere Hunde - Lucy und Rico - möchten beide mit den meisten Fremdhunden am liebsten nichts zu tun haben, und sie reagieren beide teils sehr heftig, wenn ein Fremdhund ihre Individualdistanz unterschreitet. Da ich davon ausgehe, dass wir mit diesem Problem nicht ganz allein auf der Welt sind, dachte ich, man könnte sich hier vielleicht ein wenig über dieses Thema austauschen.
Mit beiden Hunden haben wir viel mit "Click für Blick" gearbeitet. Lucy wird außerdem am Halti an anderen Hunden vorbeigeführt, da sie die Grundeinstellung hat, alles selbst in die Hand nehmen zu wollen und das Halti sie daran erinnert, dass es ihr zweibeiniger Weggefährte ist, der führt und die Dinge regelt. Durch diese Maßnahmen kommen wir mit Lucy inzwischen recht gut an anderen Hunden vorbei, vorausgesetzt, es ist nicht allzu eng.
Bei Lucy haben wir allerdings den unschätzbaren Vorteil, dass sie wesentlich ernster genommen wird als der kleine Rico. Wenn man Lucy mit Halti an der Leine führt, sie sichtbar nervös ist und man dann noch einen Bogen schlägt, dann begreifen die meisten Hundehalter, dass es sinnvoller wäre, den eigenen Hund ebenfalls anzuleinen (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel ). Bei Rico passiert es wesentlich häufiger, dass andere Leute das Anleinen bzw. bei sich Behalten ihres Hundes nicht für nötig halten, denn der Kleine sieht ja so süß und harmlos aus. Ein "Der möchte keinen Kontakt!" bringt nur allzu oft GAR NIX. Leider verwandelt sich "der Süße" dann nicht selten in eine Furie... Doch nicht mal dann wird er ernst genommen, sondern oftmals in einem halb begütigenden, halb herablassenden Tonfall als "kleine Zicke" oder Ähnliches bezeichnet.
Jedenfalls war ich der Ansicht, dass Rico zu häufig und zu heftig ausrastet und hatte das Gefühl, mit meinem derzeitigen Training in einer Sackgasse zu stecken. Meine Stamm-Hundeschule bietet keine Kurse speziell zu diesem Problem an (und Einzeltraining funktioniert bei Artgenossen-Problematiken ja nicht sooo gut ); zudem legte mir die Trainerin ans Herz, dass ich es mir leichter machen würde, wenn ich Rico erst mal kastrieren ließe (wenigstens chemisch).
Da das nicht infrage kommt und sie mir keinen geeigneten Kurs anbieten konnte, empfahl sie mir eine andere, noch relativ neue, Hundeschule in meiner Nähe, die "Social Walks" anbietet. Das Ende vom Lied: Ich war in den letzten Wochen in dieser Hundeschule und bin insgesamt sehr zufrieden. Das Konzept überzeugt mich sehr: Die Trainerin bietet Begegnungsspaziergänge mit je ca. drei Mensch-Hund-Teams an, auf denen alle Hunde an der Leine bleiben und das Ziel ist, dass sie in Gegenwart der anderen Hunde entspannt und friedlich mitlaufen. Diese Spaziergänge kann man einzeln buchen. Bevor man aber daran teilnehmen kann, muss man einen aus vier Trainingseinheiten bestehenden Kurs besuchen, in dem man "Basics" an die Hand bekommt, die es ermöglichen, den Hund in Gegenwart von Artgenossen zu händeln. Mir gefiel gut, dass die Trainerin sehr darauf achtete, auf jeden Hund und seine jeweilige Problematik individuell einzugehen.
Bei Rico erkannte sie schnell, dass er nicht aktiv Streit sucht, sondern eigentlich bloß seine Ruhe haben möchte. Unser Problem sah sie darin, dass Rico durch das "Click für Blick"-Training in einen Trainingsmodus verfalle, der eine gewisse Anspannung mit sich bringe. Dadurch entspanne er sich nicht wirklich und das Risiko, dass die Situation plötzlich kippt und er ausrastet, sei höher. Außerdem komme er durch das ständige Hund-anschauen-mich-anschauen nicht dazu, den anderen Hund in Ruhe zu beobachten und einzuschätzen. So könne es vorkommen, dass der andere Hund z. B. plötzlich viel näher sei, als Rico gedacht habe, er sich dadurch erschrecke und ausraste. Deshalb schlug sie uns das sogenannte BAT-Training vor - von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Das Grundprinzip ist, dass der Hund selbst entscheiden darf, wie viel Nähe oder Distanz zum Fremdhund er haben möchte. Der Hundeführer hält sich hinter dem angeleinten Hund und überlässt ihm weitgehend die Führung. Der Hund darf den Fremdhund in aller Ruhe beobachten; wenn er seitlich schnüffeln oder langsam / im Bogen auf den Fremdhund zugehen möchte, folgt ihm der Hundeführer einfach. Nur wenn der Hund schnell und straight auf den Fremdhund zu will, die Leine sich also flott nach vorne strafft, bremst man den Hund sanft von hinten aus. Man sollte sich aber bemühen, die Leine direkt wieder zu lockern, da ein Hund in strammer Leine nicht entspannt stehen kann. Will der Hund dann wieder nach vorne, bremst man wieder, bleibt er stehen, lässt man ihn eine Weile schauen. Trifft der Hund die Entscheidung, sich vom Fremdhund ab- und seinem Menschen zuzuwenden, wird dies freudig gelobt und evtl. mit einem Leckerchen, auf jeden Fall aber immer mit einer zügigen Distanzvergrößerung zum Fremdhund belohnt. Schafft der Hund es dagegen gar nicht, sich abzuwenden und fängt an, den Fremdhund anzustarren, bewegt sich der Hundeführer in Form eines Viertelkreises langsam an die Seite des Hundes, sodass er in dessen Blickfeld kommt. Dies veranlasst den Hund oftmals, sich dem Menschen zuzuwenden, nach dem Motto: "Ach ja, du bist ja auch noch da, so ein Glück!" Das wird dann wieder mit Distanzvergrößerung und evtl. Leckerchen belohnt.
Rico fühlte sich mit diesem Training anfangs total überfordert, was er durch fast ständiges Jammern und Weinen deutlich machte. Die Trainerin meinte, das liege daran, dass ich ihm früher eben immer viel abgenommen hätte, indem ich ihn in den "Arbeitsmodus" gebracht hätte. Wir zogen es trotzdem durch und in der nächsten Trainingseinheit war es schon deutlich besser. Ich habe den Eindruck, dass das für Rico wirklich der richtige Weg ist. Besonders viel hatten wir mit einem freundlichen, aber ungestümen Labradorrüden trainiert, der ebenfalls in der Gruppe war. Nachdem Rico den vier Trainingseinheiten lang auf der Ferne "kennenlernen" konnte, war er am Ende der letzten Trainingseinheit so weit, dass er in eindeutig freundlicher Absicht zu dem Rüden hin wollte. Die Trainerin meinte daraufhin, sie schätze Rico so ein, dass er eigentlich nichts gegen andere Hunde habe, aber einfach seine Zeit brauche, um den neuen Bekannten einschätzen zu können.
Insgesamt finde ich das BAT-Training für uns sehr vielversprechend und werde bei dieser Trainerin definitiv noch weitere Stunden buchen, um das Gelernte zu vertiefen. Einen großen Nachteil hat diese Methode allerdings: Jetzt, wo ich bei Hundebegegnungen zwar einen Bogen einschlage, meinen Hund aber scheinbar lässig schauen lasse, fühlen viele Hundehalter sich erst recht bemüßigt, ihren Tut-Nix zu uns hinlaufen zu lassen. Mein "Das ist keine gute Idee, behalten Sie Ihren Hund bitte bei sich!" wind noch weniger ernst genommen als früher, wo ich Rico sehr deutlich zu mir und in eine konzentrierte Arbeit genommen habe. Das ist ein echtes Manko, weil jeder Ausraster uns natürlich letztlich zurückwirft.
So, ich freue mich über jeden, der diesen Roman zu Ende gelesen hat! Und ich freue mich über einen Austausch über dieses teilweise doch sehr nervenaufreibende Thema, besonders aber über hilfreiche (und weniger hilfreiche) Trainingsmethoden!
Liebe Grüße
Amica